Samstag, 23. Mai 2009

Trainlag


москва яр - иркутск, поезд 350, оправлеине 13.35


Nach schon fast zwei Wochen in Russland, schaffen wir es mit Leichtigkeit, diesen kleinen Text auf der Anzeigetafel des Yaroslavsky Bahnhof zu entziffern.

Nachdem wir eine Woche in Moskau und dessen Umgebung verbrachten, begann unsere Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn um 13.35 Uhr im Zug Nr. 350 nach Irkutsk. Wir bezogen in Wagon Nr. 14 unser 4er-Abteil 9-12, welches wir mit einen Dame und wahrscheinlich ihrem Sohn, oder um Jahrzehnte jünger scheinenden Mann, teilten. Das Reservieren unserer Plätze hatte ich schon Wochen zuvor auf der offiziellen russischen Bahnseite erledigt. Dies war ein schwieriges Unterfangen, da diese Seite nur in Kyrillisch existiert. Also habe ich mir Wort für Wort und Satz für Satz in einer Übersetzungseite, die ich gleichzeitig mit der Bahnhseite geöffnet hatte, übersetzt. Es hatte sich auf jeden Fall gelohnt, denn Dank diesem Frühbuchen haben wir unser Betten weder in der Nähe des Samowars noch der Toiletten bekommen. Dort herrscht nämlich während der ganzen Zugfahrt am meisten Betrieb. Ausserdem haben wir das Glück, dass wir zwei Vorwärtsplätze bekommen haben. 

Bald nach Abfahrt haben wir schon die bereitgelegten Matratzen ausgerollt und uns auf die 87-stündige Fahrt eingestellt. Ursprünglich hatten wir ja geplant, die Zugfahrt in Ekaterinenburg, Novosibirsk oder Krasnoyarsk zu unterbrechen. Doch haben wir uns schlussendlich dagegen entschieden, da wir die Erfahrung einer solch langer Zugfahrt doch machen wollten. Nebst der erwähnten Matratze erhält jeder Passagier ein Leintuch und ein Bezug zum Beziehen der Matratze und des Kissens, ein zweites Leintuch als Decke, eine Wolldecke für die kalten sibirischen Nächte und ein kleines Handtuch für die hygienischen Belange. Leider nehmen es die Russen  mit dieser

Hygiene häufig nicht so genau, so dass schon unser erster Gefährte, heftig nach Schweiss stank. Obwohl wir froh waren, als Mitpassagiere diese zwei netten und ruhigen Leute mit an Bord zu haben, war es doch schon eine Erleichterung, als wir erfuhren, dass sie in Perm den Zug verlassen werden, denn am zweiten Tag stank der Mann noch heftiger. In Perm stoss ein junger Offizier namens Sergej, auf dem Weg nach Wladiwostock, zu uns. Ein paar Stunden später in Ekaterinenburg, oder Sverdlovsk, wie die Meisten es noch nennen, stieg er schon wieder aus, weil er mit dem Flugzeug weiter reisen wollte. Zu uns gesellte sich ein junges Pärchen. Schnell stellte sich heraus, dass diesmal die Frau es war, die unwahrscheinlich stank. Die Nacht haben wir mit offenem Zugfenster überstanden und am nächsten Morgen hat sie dann sogar den Gebrauch des Waschlappens entdeckt.



Da auf der ganzen Transsibirischen Strecke zwischen Moskau und Wladiwostock ein Zeitunterschied von sieben Stunden besteht, laufen alle Uhren entlang der Strecke, der Einfachheit halber nach moskauer Zeit. Das heisst also, dass wir nach Fahrplan um 05.34 Uhr in Irkutsk ankommen werden. In Wahrheit wird aber in Irkutsk schon 10.34 Uhr sein. So kam es, dass ich in eine Art TrainLag verfiel. Nach der zweiten Nacht befand ich mich schon um 04.30 Uhr auf dem Gang des Zuges. Draussen war es bereits taghell und die Sonne zeigte sich auch schon wieder. Nach beiden Seiten schauend, bemerkte ich, dass ich nicht der Einzige war, der die Zeitverschiebung zu spüren bekam. Eine gute Stunde später kam es zu einem bemerkenswerten Moment des Bewusstseins von Glück. Ich kenne diese Momente schon von der langen Südamerikareise her und war überrascht, dass ich schon nach zwei Wochen Reise einen Solchen erleben durfte. Ich stand also am Fenster der Südseite des Zuges. Kurz zuvor hatte ich mir am Samowar eine Tasse Nescafé zubereitet und der Duft des Kaffees strömte zu meine Nase. Draussen bewegte sich die Landschaft an mir vorbei und für einen kurzen Moment verschwanden die Birken und gaben den Blick auf viele kleine, verschilfte Seen frei. Dazu hörte ich Neil Youngs "Cortez the Killer", welches wirklich rein gar nichts mit Russland, dem Zug oder dem Schilf zu tun hat, aber dennoch so gut passte, dass ich in mir das Gefühl der ganz grossen Zufriedenheit zu spüren bekam. Der Moment dauerte wahrscheinlich keine Minute, doch kam er mir viel länger vor und ich genoss ihn in vollem Bewusstsein. Dann kamen wieder die Birken und ich nahm einen Schluck vom Kaffee, welcher halt doch nicht so gut ist. Fairerweise muss ich aber gestehen, dass der Instant-Kaffee absolut als Ersatz zum hier aufgetischten Kaffee dienen kann. Solche Momente, und mögen sie auch nur einige Sekunden dauern, sind mit keinem Geld der Welt aufzuwiegen und sind der Lohn dafür, den Job aufgegeben, Familie und Freunde zurückgelassen zu haben.



Die ganze Stecke, welche wir in vier Tagen zurück legen, misst ca. 5200 km. Ich stellte mir vor, dass die Landschaft sich ein wenig verändern würde. Dies war aber nicht wirklich der Fall. Birken dominieren das Bild. Dazwischen Holzhäuser. Und eigentlich ist es fast immer eben. Bei etwa km 1800 erreichen wir den Ural, die natürliche Grenze zwischen Europa und Asien. Das bekannte Gebirge, welches sich von Kasachsthan bis zur Arktik erstreckt, ist 2000 km lang. Gebirge? Es erhoben sich links und rechts vom Zug ein paar Hügel, jedoch keine Berge, somit auch keine Tunnels und keine bergauf schnaufende Lokomotive. Einfach pfeifengerade durch die Hügellandschaft durch bis nach Ekaterinenburg, von wo es wieder flach und birkig wurde.



Zwei Wagen von uns entfernt war der PECTOPAH-Wagen (RESTORAN), der, wie wir schon zum vornherein informiert wurden, nicht sonderlich viel zu bieten hatte. So deckten wir uns in einem Moskauer Supermarkt mit Brot, Sardinen, Oliven, Knäckebrot, Tomaten, Bananen und Äpfel ein. Dazu zwei Flaschen spanischer Rotwein für je 166 Rubel (sFr. 5.70). Bier und Wasser kauften wir an den Bahnhöfen, genau so wie frische Brot und Chips. An manchen Stationen konnten wir uns zusätzlich mit lokalen Speisen wie Belminis (kalte Krapfen mit Füllung, meist Schweinefleisch), Blinis (Crepes mit süsser, fleischiger oder fischiger Füllung) oder dem allgegenwärtigen getrockneten Fisch. Aber auch frische Radieschen, Frühlingszwiebeln, Gurken und Eier konnten wir auf den Bahnsteigen für wenig Geld erstehen. So kam ich zu meinem ersten hartgekochten Ei seit Jordanien 2005!



Schon am ersten Abend schloss ich Freundschaft mit der dicken Provodnista, der Frau, die für Ordnung und Sauberkeit im Zug zuständig ist und eigentlich das Sagen hat. Sie bemerkte recht schnell, dass wir die einzigen Touristen im Wagen waren und, dass man mit Floriana und Oliver sicherlich ein kleines Nebengeschäft machen kann, in dem man ihnen zu jeder Tages- und Nachtzeit Bier verkauft. Dies funktionierte dann aber auch nur am ersten Abend, da ihr Bier irgendwie nicht schmeckte und Wasser zum Zähneputzen halt doch viel angenehmer ist. Dies hatte dann zur Folge, dass sie stets nett mit uns war, aber immer genau im Moment, in dem ich die Toilette aufsuchen wollte, sie diese vor meinen Augen abschloss - egal wie weit entfernt der nächste Bahnhof noch war. Einmal, kurz vor Omsk, schloss sie mich sogar kurz auf dem WC ein und nur durch einhändiges Klopfen konnte ich dem 28-Minuten-Bahnhof-Aufenthalt auf der Toilette entgehen. 


Am Donnerstag Morgen war Irkutsk erreicht. 87 Stunden und 5200 km hinter uns gelegt. Das ergibt eine durchschnittliche Geschwindigkeit von etwa 60 kmh. 

Gerne würde ich wissen, wie viele Birken entlang der 5200 km stehen.


He came dancing across the water

With his galleons and guns

Looking for the new world

In that palace in the sun

Cortez, Cortez - what a Killer






1 Kommentar:

  1. Von Moskau bis Irkutsk sind es genau ca. 8'754'369 Birken.... Gruss SchwigiTigi und Bruder

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