Dienstag, 24. August 2010

Die Walfänger von Lamalera


Noch vor ein paar Wochen hatten wir noch nie zuvor von Lamalera gehört und selbst in unserem Reiseführer ist es nur mit ein paar Worten erwähnt. Jedoch wird darin beschrieben, dass man hier „the thrill of your life“ erleben kann.

Lamalera hat als einziges Dorf in Indonesien eine Sonderbewilligung von der Internationalen Walfangbehörde und dürfen dadurch bis zu 25 Pottwale pro Jahr erlegen. Der gefangene Wal wird am Strand zerlegt. Das ganze Dorf ist jeweils anwesend. Er wird in etliche gleich grosse Anteile zerteilt und jede Familie erhält einen Anteil. Von einem Wal kann sich das Dorf einige Monate lang ernähren. Letztes Jahr wurden drei Wale gefangen. Verkauft wird nichts davon, jedoch getauscht. Einmal pro Woche findet Markt statt. Die Bauern von den fruchtbaren Hügeln kommen zu den Fischern an die Küste hinunter oder umgekehrt. Die Bauern bringen Gemüse, Mais, Reis, Früchte und Betelnüsse und nehmen Fisch oder Walfleisch mit nach Hause. Geld wird hierbei keines verwendet. Die Dörfer leben vom Tauschhandel.

Wir haben uns lange überlegt, ob wir wirklich den langen Weg dorthin auf uns nehmen wollen. Ist es richtig, in ein Dorf zu fahren, wo Wale getötet werden? Ist es richtig, eine Gegend zu besuchen, um sie mit unseren getauschten Rupiahs zu verderben? Wir entschlossen uns dazu, liessen es uns aber offen, ob wir dann auch tatsächlich am Walfang teilnehmen wollen.


Holzboot von Larantuka nach Lewoleba. Das klingt ja schon wie im Märchen (Pipi Langstrumpf im Larantuka-Land).

Strassenszenen in Lewoleba - Heimkehr vom Gemüsemarkt

- ob der wohl französisch versteht...?

aus meiner Serie: Gerüstbauwahnsinn - Der Turmbau zu Lewoleba

Ebbe in Lewoleba - Das Pfahldorf und der rauchende Gunung Ili Api

Gleicher Ort, jedoch Blick gen Westen. Noch ein Vulkan.


Ich frage eine ältere Frau, ob hier ein Truck nach Lamalera abfahren würde. Sie nickt mit dem Kopf. Keine zehn Minuten später: erst hören wir den Bass, dann den Motor und erst danach sehen wir den Lastwagen. Drei junge Burschen stürzen sich rufend auf uns „Lamalera, Lamalera!“ Wir steigen ein, die ältere Frau ebenso. Der Lastwagen fährt sofort los. Ich frage bei einem der Burschen nach, ob wir denn auch wirklich nach Lamalera fahren. Er bejaht, deutet mir aber an, dass wir erst die Tour durch Larantuka machen um mehr Passagiere abzuholen. Dies dauert anderthalb Stunden. Im Normalfall ist dies auch sehr langweilig und lästig, doch heute ist alles anders. Der Truck fährt gezielt zu den Wohnhäusern, wo Leute warten um abgeholt zu werden. Viele haben auch nur Fracht bereit gestellt, die dann im Lastwagen oder auf dessen Dach verstaut wird. Als erstes wird eine lebende Ziege aufs Dach gehievt. Es folgen Säcke voller Reis und Mais, Bananenstauden, ein Stromgenerator, etliche Pappschachteln mit unbekanntem Inhalt und mit Hühnern, Reifen für Motorräder und schliesslich zwei Schweine, die schrill schreiend mit allen Vieren an Bambusstöcken festgebunden wurden. Um halb ein Uhr fahren wir mit dem Streichelzoo auf dem Dach los Richtung Lamalera, die Beine auf Reissäcken ausgesteckt und gut gelaunt. Die Musik ist bisweilen wieder viel zu laut, doch lassen wir uns die gute Laune dadurch nicht verderben. Wer Asien kennt, weiss, dass 65 Kilometer nicht unter zwei Stunden zu bewältigen sind. Für diese Strecke brauchen wir fast vier Stunden. Zu Beginn fahren wir auf einer geteerten Strasse, diese geht jedoch bald in eine einspurige Piste über. Die ersten drei Stunden geht es nur bergauf.



Unser Lastwagen - farbenfroh

Die weissen Schweine werden Babi Belanda genannt (holländisches Schwein). Ich weiss nicht, ob dass der zoologische Name dafür ist oder, ob es sich hier um eine kleine rassistische Bezeichnung handelt. Hier wird das holländische Schwein gerade auf das Dach gehievt.

Ganz nach dem Motto meines Bruders: Kein Sitzplatz im frei, weil der Reisetruck war voll! Gäu A?


Lamalera ist ein kleines, zweigeteiltes Fischerdorf. Lamalera A und B. A für Atas (oben) and B für Bawa (unten). Auch hier gibt es nur drei Gasthäuser. Wir wählen Guru Ben‘s Gasthaus im Ortsteil A. Sein Gasthaus ist mit einer Terrasse ausgestattet die die Bucht von Lamalera überblickt. Als wir uns im Gästebuch einschreiben, sehen wir, dass wir seit dem 17. Juli die ersten Gäste sind. Heute ist der 9. August. Hauptsaison.


Aussicht von unserer Terrasse auf den Fischerstrand


Gefangen und gegessen wird in Lamalera alles, was das Meer hergibt. Ein junger Mann trägt einen mächtigen Barracuda an Land. Im Bootsschuppen nebenan liegen mehrere Thunfische zum zerlegen bereit. Gleich vor unserer Nase zerschneiden einige Fischer einen Mantarochen und am anderen Ende des Strandes werden zwei tote Delfine in den Sand gelegt. Ich bewundere den Mann, der den Rochen tranchiert. Ich wusste bis anhin nicht einmal, dass so ein Rochen essbar ist. Wir werden von Aldi angesprochen. Er ist modern gekleidet und trägt als einziger am Strand Turnschuhe.

- Hallo, woher kommt ihr?

- Aus der Schweiz. Und du?

- Von hier, antwortet er mit Erstaunen. Aber ich studiere in Yogyakarta. Ich bin hier in den Ferien um meine Familie zu besuchen.

- Kann man Mantas wirklich essen?, frage ich ihn.

- Natürlich, schmeckt fabelhaft. Jetzt wird der Rochen in gleiche Stücke zerlegt und an all die beteiligten Fischer auf dem Boot aufgeteilt.

- Weisst Du etwas über den Walfang?

- Ich bin jetzt seit fast zwei Wochen hier und seither hatte ich noch keine Gelegenheit auf Walfang zu gehen. Bin selbst ziemlich enttäuscht.

- Wieso hattest du den keine Gelegenheit, Aldi?

- Die uralte Tradition verlangt es, dass die Walfänger niemals rausfahren um den Wal zu finden. Erst wenn der Wal in unsere Bucht kommt und sich ihnen zeigt, verstehen sie das als Aufforderung.

- Interessant!

- Ja, es ist eine Art von Respekt gegenüber dem Wal. Und so wird es seit Jahrhunderten gemacht. Gejagt wird auch noch wie damals. Mit dem Bambusspeer und mit dem Paddelboot. Erstens aus Tradition, aber sind dies auch Bedingungen, die von der Walfangbehörde gestellt wurden.


Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile, während die Fischstücke aufgeteilt und wie Perlen auf Schnüre aufgezogen werden. Frauen tragen Ihren Familienanteil in Körben auf den Köpfen davon. Aldi verabschiedet sich und wir verbringen den Rest des Tages mit einem Spaziergang durch das Dorf und auf unserer Terrasse.



Ein kleiner Mantarochen wird tranchiert und unter den Fischern aufgeteilt.

Ein kleiner Delphin wird zum zerlegen an den Strand getragen - kann es bezeugen: Delfinfleisch ist weiss.

Aussicht auf die Boots-Hangare am Strand

...noch mehr Aussicht

Am Morgen unseres dritten Tages in Lamalera werden wir durch Kindergeschrei vor unserem Fester geweckt. Balleo, Balleo! schallt es aus allen Richtungen. Ich krieche unter dem Moskitonetz hervor und schaue aus dem Fenster. Gerade noch sehe ich die letzten Kinder in Richtung Strand davon rennen. Ich ziehe meine Hose an und begebe mich noch ziemlich schlaftrunken zur Terrasse. Unsere Gastgeberin Agnes sass beim Kaffee.

- Selamat Pagi, begrüsse ich sie.

- Selemat Pagi, erwidert sie freundlich.

- Balleo? frage ich, obwohl ich mir die Antwort schon zusammen reimen kann.

- Die sehen Wal.

- Fahren sie raus?

- Ja, ja.

- Kann ich mit?

- Ja, ja.

All meine Bedenken sind plötzlich verschwunden. Ich renne zurück ins Zimmer und rufe Floriane zu: - Schnell, komm!

Der Wal ist da! Sie teilt meine Euphorie nicht und beschliesst nicht mitzukommen. In Windeseile schmiere ich mir eine dicke Schicht Sonnencrème ins Gesicht, schnappe mir meine Kamera und die Sonnenbrille. Zwei Minuten später bin ich am Strand. Die Aufregung, die dort herrscht packt mich. Ein Boot nach dem Anderen wird ins Wasser gestossen. Die Fischer schieben und auf drei springen alle mit einem Satz ins Boot.


Das traditionelle Fischerboot wird in Wasser geschoben.

Ich kann es kaum glauben - ich gehe auf Walfang.

Niemand spricht und alle spähen auf Wasser. Ich kann es kaum fassen, dass ich auf Walfang gehe. Es dauert fast eine Stunde ehe sie einen Pottwal sichten. Sofort bricht Aufregung und Hektik aus. Auf jedem Paddelboot befindet sich nun ein Harpunist. Der Wal ist riesig, sicherlich an die 15 Meter lang. Er schwimmt an der Oberfläche. Die Fischer paddeln mit voller Kraft und innert weniger Sekunden befindet sich eines der Boote direkt hinter dem Wal. Doch dieser taucht ab. Die Aufregung ist in den Gesichter der Fischer abzulesen. Kurze Zeit später taucht der Wal wider auf und auch sofort wieder ab. Dies wiederholt sich ein paar Mal. Plötzlich schwimmt er neben uns. Unser Paddelboot ist zu weit von ihm entfernt, doch ein Anderes folgt ihm. Der Harpunist balanciert auf dem Bug. Sein langer Bambusspeer ist mit einem Eisenhaken ausgestattet. Der Wal schwimmt vor dem Boot her. Der Speerwerfer ist bereit zum Sprung. Ich wünsche mir, dass die Jagd noch andauert und dass der Wal abtaucht. Ich fühle, wie ich gänzlich der Jagd erlegen bin, doch fühle ich auch das Mitleid für den Wal. Tauch doch! Und er taucht. Der Speerwerfer war für den Sprung auf den Wal bereit, hatte aber einen Sekundenbruchteil gezögert.


Der Wal ist da, jetzt wird gepaddelt wie wild.

Tauch! Tauch ab!

Capitain Ahab ist alt geworden.


Am nächsten Morgen um 03.30 Uhr nehmen wir den Laster zurück nach Lewoleba. Leider sind wir nicht die Einzigen und die letzten Sitzplätze sind nur noch auf dem Dach des Lastwagens zu ergattern. Wir quetschen uns zwischen Reissäcke und Kartonschachteln und machen es uns so gemütlich wie nur möglich.

Die Nacht ist wunderbar klar und es hat so viele Sternschnuppen, dass uns die Wünsche ausgehen.

Ans schlafen ist nicht zu denken - zu gefährlich. Auf dem Dach muss man die Augen nach Ästen, Bambus und Stromkabeln offen halten.

03.42 Uhr - Auf dem Dach des Trucks. Und ich nur im Träger-T-Shirt.

Mitpassagiere auf dem Dach

Zurück in Lewoleba - Blick von unserem Zimmer.

Die vergnügliche Fahrt im Holzboot bringt uns zurück nach Larantuka und zum Ahuwair Strand, wo wir unsere Freunde (Angel, Ocean usw. - siehe Blogeintrag zuvor) wieder sehen werden. Flo sehnt sich nach den Sunset Salad.

2 Kommentare:

  1. Lu sur Wikipédia:
    La grande taille de ces mammifères marins présente l'avantage d'apporter des quantités considérables de nourriture mais sa chasse est particulièrement dangereuse, sauf avec l'assistance des moyens techniques modernes.
    Oli tu prends des risques!
    Magnifiques photos, il ne nous manque plus que le son et l'odeur de la mer.

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  2. Hallo Oliver,
    bin begeistert vom Bericht und den Bildern und werde in diesem Jahr das Abenteuer auch einmal angehen. Viele Grüße aus Bali in die Schweiz.
    Werner

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